
Dichter und Denker in Bad Kissingen
Kurorte haben über Jahrhunderte einen illustren Kreis an Gästen angezogen:
Kaiser und Könige, aber auch große Dichter und Denker ihrer Zeit. Wer etwas auf sich hielt,
verbrachte den Sommer in einem der mondänen Weltbäder. Mit über 1.200 Jahren bewegter
Geschichte verkörpert Bad Kissingen das Modell „Kurstadt“ bis heute herausragend.
Wir haben uns mit Claudia Bollenbacher, Inhaberin der schönerlesen Partnerbuchhandlung seitenweise. Die Buchhandlung, über Höhepunkte der Kursommer damals und heute unterhalten.
Wer noch einen authentischen Reisebericht aus dem 19 Jahrhundert lesen möchte, dem empfehle ich die Lektüre von „3 Wochen in Bad Kissingen“ von Abner Weyman Colgate.
Frau Bollenbacher, in der Glanzzeit zwischen 1830 und 1930 war die große Welt zu Gast in Bad Kissingen. Die Kurlisten lesen sich wie ein Who-is-Who – auch viele bekannte Schriftsteller kurten an der Saale.
Ja, das stimmt. In Kissingen, das Bad kam erst 1883 dazu, kurten viele Prominente. Der erste nachweisliche Kurgast kam vor genau 500 Jahren: Dietrich von Thüngen, Domherr des Würzburger Domstifts. Ihm folgten viele, viele nach. Darunter zahlreiche Buchmenschen, Autoren, Verlagsbuchhändler und Verleger, z.B. Heinrich Brockhaus, Gustav Langenscheidt und August Velhagen. Dazu Theodor Fontane, Leo Tolstoi, Paul Heyse, George Bernard Shaw, Alfred Döblin, Henryk Sienkiewicz und Vladimir Nabokov.
Wurde denn auf Kur auch geschrieben bzw. fand Bad Kissingen als Schauplatz Eingang in literarische Werke?
Ja, wie bereits erwähnt schrieb Mary Shelley über ihren Aufenthalt. Theodor Fontane verfasste hier Kriegsberichte und die Novelle „Eine Frau in meinen Jahren“. Paul Heyse setzte in seiner Novelle „Ein Familienhaus“ Bad Kissingen ein literarisches Denkmal. Oblomov wird eine Kur in Bad Kissingen empfohlen und bei Thackeray reisen gleich in zwei Werken („Snobs“ und „Jahrmarkt der Eitelkeiten“) Personen nach Kissingen. Auch in Nabokovs „Erinnerungen“ kommt Bad Kissingen vor. Theodor Heuss begann seine „Tagebuchbriefe 1955“ in Bad Kissingen.
Auch aus Adel und Politik kamen zahlreiche Kurgäste...
Sehr viele sogar, denn so eine Kur war nichts für arme Leute. Die berühmtesten sind sicherlich der Kaiser von Österreich, nebst seiner Gattin Sisi, die Zarenfamilie, die Könige von Bayern und natürlich Otto von Bismarck. Bereits über seinen ersten, von vielen, Aufenthalten, schrieb die Wiener Neue Freie Presse „Seit gestern ist der Mittelpunkt des Deutschen Reiches nach Kissingen verlegt!“ Bismarck war sehr beliebt und die Ergebnisse des täglichen Wiegens waren in wenigen Minuten in der ganzen Stadt bekannt. Die Bismarckwaage steht heute im Bismarck-Museum. Bismarck machte von hier aus Politik (Kissinger Diktat), traf sich mit Botschaftern, Ministern und dem Prinzregenten von Bayern. Wann immer er hier verweilte eilten hunderte Verehrer nach Bad Kissingen um ihm zu huldigen. Allerdings wurde hier auch das einzige Attentat auf Bismarck verübt.
Über eine nicht ganz so gelungen Anreise eines adligen Herrn, er war der künftige Schwiegersohn von Jerome Bonaparte, erzählt man sich, dass der junge Herr splitterfasernackt aus der Kutsche stieg und auf Jerome Bonaparte traf. Es war sehr heiß und er hatte sich in der Kutsche seiner Kleider entledigt. Sisi war insgesamt nur wenige Male in Kissingen zu Gast und doch wurde das letzte gemeinsame Photo von ihr und dem Kaiser in Bad Kissingen aufgenommen. Wer mag kann auf ihren Spuren zum Tierpark Klaushof oder zum Sisi-Denkmal wandern.
Welche Orte muss man denn heute als Tagestourist gesehen haben?
Ein Besuch beim Fürsten Bismarck ist Pflicht! Ein Spaziergang im Rosengarten belebt den Geruchssinn und im Kurgarten lässt es sich noch immer wunderbar flanieren. Auch ein Abstecher auf den Kapellenfriedhof mit seinen zum Teil sehr speziellen Grabinschriften und der trauernden Germania ist sehr zu empfehlen. In diesem Jahr fallen einige Sommerattraktionen wie die entschleunigte Dampferlefahrt auf der Saale, der berühmte Kissinger Sommer und natürlich das Rakoczyfest Corona zum Opfer. 2021, da bin ich mir sicher, sind alle wieder da.
Auch eine Genuss-Stadtführung mit Herrmann Laudensack ist immer ein besonderes Erlebnis.
Mit etwas Glück findet eine Veranstaltung im Littmann-Saal statt. Dem wunderschönen großen Saal im Regentenbau mit seiner weltberühmten Akustik.
Zum Ausklang des Tages dann noch einen Schoppen Frankenwein im Lieblingslokal von Adolph von Menzel, der Weinstube Schubert. Er öffnete dort, sehr vom Wein beseelt, einmal die falsche Tür und landete statt in der Toilette sehr unsanft auf den Treppen.
Und was erwartet Kurgäste 2020 an Unterhaltung?
Sie meinen neben unseren literarischen Veranstaltungen? Diese finden Sie übrigens auf unserer Veranstaltungsseite :
https://www.genialokal.de/buchhandlung/bad-kissingen/seitenweisebk
Aktuell sind leider viele Veranstaltungen abgesagt, aber unser Kurorchester, die Staatsbad Philharmonie Kissingen, spielt regelmäßig Konzerte, das Kurtheater ist ebenfalls immer einen Besuch wert, viele kleinere Veranstaltungen kehren hoffentlich bald wieder in unseren Alltag zurück. Der Stadtstrand ist schon da! Apropos Kurorchester, das aktuelle finden Sie im Guiness Buch der Rekorde und in früheren Zeiten konnten Sie hier den Wiener Concertverein, heute Wiener Symphoniker, hören.
Welche Kur-Lektüre empfehlen Sie?
Auf jeden Fall ein Werk von Oskar Panizza, dem enfant terrible der deutschen Literaturszene aus Bad Kissingen. Von Kurt Tucholsky hoch gelobt, von Thomas Mann verabscheut und vom Bayerischen Staat verurteilt. Wer mag kann direkt mit dem „Liebeskonzil“ beginnen, mein Lieblingswerk ist jedoch „Die Menschenfabrik“.
So, und wer sich jetzt in Bad Kissingen noch sportlich betätigen möchte, dem empfehle ich eine Rhönwanderung, eine Runde Golf, etwas Entspannung in unserer Therme oder einen poetischen Spaziergang in Ramsthal auf dem Sie 21 Gedichte an Bäumen entdecken können. Von Heine bis Heinz Erhardt ist für jeden Lyrikfreund etwas dabei.
Vielen Dank für das Gespräch!
Weitere Informationen
https://de.wikisource.org/wiki/Drei_Wochen_in_Kissingen