DAS LITERATURHAUS HAMBURG – EINE JUNG GEBLIEBENE INSTITUTION

Wein Spezial – von und mit Jens Priewe

Ich träumte, in den Himmel zu kommen. Die Aussicht, von oben herab auf die garstige Welt mit ihren großen und kleinen Katastrophen, Kriegen und Krankheiten herabzublicken und dabei von Engelchen umschwirrt zu werden, die an goldenen Harfen zupfen und mir jede Stunde irgendeinen himmlischen Leckerbissen in den Mund schieben – diese Aussicht war sehr verlockend. Oder unter schattigen Bäumen zu ruhen, Platon, Kolumbus, Beethoven und Einstein zu begegnen und mit ihnen zu plaudern. Vielleicht mit Marilyn Monroe Champagner zu schlürfen oder mit einer Muse prickelnde Abenteuer zu erleben. Die Himmelsleiter war schnell erklommen. In der Hand hielt ich eine gut gekühlte Flasche Prosecco. Man hatte mir gesagt, ohne einen Wein würde Petrus niemanden einlassen. Doch Petrus wies mich ab. „Bei uns im Himmel wird kein Prosecco getrunken“, schüttelte er den Kopf. Also stieg ich wieder hinab und holte eine Flasche Champagner. „Der Himmel ist kein Luxushotel“, wies er mir den Weg zurück zur Erde. Ich versuchte es daraufhin mit einer Flasche Merlot. Musen lieben Rotwein, wusste ich, Dichter und Denker auch. Wieder baute sich Petrus vor der Himmelspforte auf und sagte: „Ein Merlot kommt mir nicht hinein.“ Ich war ratlos. Dann kam mir eine Idee. Ich besorgte mir eine Flasche Chateau Pétrus, einen der besten und teuersten Rotweine aus Bordeaux, und machte mich erneut auf den Weg nach oben. Doch schon auf halber Strecke sah ich, wie Petrus abwinkte. „Bleib unten“, rief er, „Ein Petrus hier oben reicht.“

Am Fuße der Himmelsleiter traf ich einen Sommelier. Er hatte ebenfalls eine Flasche Wein in der Hand und wollte hinauf. „Den Trick mit dem Chateau Pétrus haben schon einige andere vor dir versucht“, sah er mich mitleidig an. „Aber Petrus lässt sich nicht bestechen.“

„Was muß ich tun, damit er mich hineinlässt?“ Der Sommelier zuckte mit den Schultern. „Goethe hatte eine Flasche des berühmten Kometenjahrgangs 1811 dabei und wurde abgewiesen. Picasso hatte den ältesten Sherry, den er in seinem Keller fand, mitgenommen, Coco Chanel einen herrlich lachsfarbenen Rosé aus der Provence. Es half nichts. Und als Donald Trump gehört hatte, dass Putin mit einem der feinsten Krimsekte im Anmarsch sei, hat er sich die teuerste Flasche aus seinem Golfresort in Virginia geschnappt, um der erste Politiker zu sein, der in den Himmel kommt. Vergeblich.“

Das Ganze war, wie gesagt, ein Traum. Bevor ich den Sommelier nach seinem Namen fragen konnte, war ich aufgewacht. Jetzt frage ich mich natürlich, wer er war und welchen Wein er dabei hatte. Vielleicht hieß er Aldo Sohm. Sohm ist ein gebürtiger Innsbrucker, der mit 19 unheilbar vom Weinvirus befallen wurde und nach langen Wanderjahren heute die Gäste des eleganten Restaurants Le Bernadin in New York bei der Wahl des Weins berät. Das Le Bernadin ist eines von vier 3-Sterne-Restaurants in der Stadt. Sohm kennt so ziemlich alles an Wein, was Rang und Namen hat: rote und weiße, prickelnde und stille, teure und obszön teure. Er kann sagen, welche Weine alt werden können und welche jung am besten schmecken. Er weiß, warum ein Rotwein nicht zu einem Camembert und ein Weißwein nicht zu Spaghetti Bolognese passt, auch wenn dieses Gericht auf der Speisekarte seines Restaurants nicht auftaucht. Manche Flaschen auf seiner Weinkarte kosten 10.000 Dollar und sind so rar, dass es auch im Himmel nicht mehr davon gibt. Ein Snob also? Das Gegenteil. Nach Feierabend trinkt Aldo Sohm gern ein Bier und wenn er zu Hause kocht, macht er einen Grünen Veltliner aus seiner Heimat Österreich auf. Ich kenne Aldo Sohm nicht persönlich, aber ich habe ein Buch gelesen, das er kürzlich veröffentlicht hat. Einfach Wein heißt es. Das Erfreuliche an diesem Buch ist, dass ein Weinexperte hier nicht von oben herab über Wein doziert. „Ein teurer Wein ist noch lange kein guter Wein“, lautet eine der bodenständigen Regeln, die er dem Leser an die Hand gibt. Hätte ich die Regel beherzigt, hätte ich mich nicht mit dem Chateau Pétrus, der ein Vermögen gekostet hatte, um Aufnahme in den Himmel beworben. Eine andere Regel lautet: „Ein großer Winzer ist wichtiger als ein großer Jahrgang.“ Das würde erklären, weshalb Goethe mit seinem Kometenjahrgang am Himmelstor gescheitert ist. Von Jahrgangstabellen hält Sohm überhaupt nichts: „Ich suche lieber nach sogenannten kleinen Jahrgängen“, schreibt er. „Sie sind nicht nur bis zu 50 Prozent billiger, sondern häufig auch früher trinkbar.“

Vor allem schüchtert Sohm die Leser nicht mit seinem Weinwissen ein. „Probieren, probieren, probieren“, lautet die dringendste Empfehlung. Nicht den schönrednerischen Weinbeschreibungen in den Weinprospekten glauben, nicht den Punktbewertungen der Kritiker auf den Leim gehen, auch nicht den Empfehlungen der Sommeliers blind folgen. Stimmung, Anlass, Jahreszeit sind viel wichtiger, um das Weintrinken auf der Erde zu einem Erlebnis zu machen. Wer dieses Buch liest, versteht jedenfalls schnell, weshalb Petrus keine Wichtigtuer, Etikettentrinker, Angeber und Selbstüberschätzer im Himmel haben will. Menschen, die mit einem einfachen Grünen Veltliner in der Hand anklopfen, sind ihm viel lieber. Die lässt er rein.

Weine

Einfach Wein. Der illustrierte Guide
Aldo Sohm
Prestel Verlag
Hardcover, 272 Seiten
ISBN 978-3-7913-8664-5
Euro 28,– (D), Euro 28,80 (A)

Tipps & Tricks für Weintrinker

Wenn der Wein korkt
Ein schlechter Korken macht einen Wein ungenießbar. Er lässt ihn muffig und dumpf schmecken. Es gibt jedoch einen Trick, mit dem man zumindest schwach korkende Weine vor dem Ausguss retten kann. Man füllt den Wein in eine Karaffe, nimmt ein Stück Frischhaltefolie, knüllt sie zusammen und wirft sie in die Karaffe. Es mag unglaublich klingen: Der Korkton schwächt sich ab. Manchmal verschwindet er auch ganz.

Von: Jens Priewe