Schöne Provence

Olivenhaine und Lavendelfelder, romantische Bergdörfer mit bunten Märkten, der gesellige Aperitif im Straßencafé, guter Wein und mediterrane Küche: Ja, wir sind in der Provence! Nirgendwo sonst in Frankreich werden die Kunst des Savoir-vivre und die Vorteile des südländischen Lebens so gefeiert wie hier.

Es verwundert also nicht, dass sich hier nicht nur Franzosen und Französinnen gerne niederlassen. Auch auf viele (internationale) Künstler*innen hatte und hat die Provence eine besondere Wirkung. Maler*innen fanden hier die Inspiration für ihre Werke und ließen sich von der Atmosphäre, der Landschaft und vor allem von dem besonderen Licht bezaubern. So zum Beispiel Pablo Picasso, Vincent van Gogh oder Paul Cézanne, der wohl berühmteste Bürger der Stadt Aix-en-Provence. Befragt nach ihrem Lieblingswohnort wählten die meisten Franzosen Aix-en-Provence, was kein Wunder ist, denn Aix ist eine lebendige, wunderschöne, internationale Studentenstadt, in der Kunst, Kultur und Lebensgenuss großgeschrieben werden. Das Atelier des 1906 in Aix verstorbenen Cézanne, der sein ganzes Leben lang für die Stadt und die Provence schwärmte, kann auch heute noch besichtigt werden.



Traumorte der Literaten

Eine ähnlich inspirierende Wirkung hat die Provence auch auf Schriftsteller*innen. Bis heute ist die Region Schauplatz vieler Romane – in der modernen Unterhaltungsliteratur vor allem für Kriminal-, Liebes- und Familienromane.

Albert Camus und Peter Mayle – für diese beiden Schriftsteller war die Provence weit mehr als nur eine Quelle der Inspiration. Für beide wurde Lourmarin – ein kleiner provenzalischer Ort und eines der klassifiziert schönsten Dörfer Frankreichs – zur Heimat. Sowohl der in Algerien geborene Camus als auch der Brite Mayle liebten das ruhige, einfache und mediterrane Leben, das sie hier, am Fuße der Luberon-Berge, fanden.

Camus‘ Glück im Luberon war allerdings nur von kurzer Dauer. 1958 erwarb er von seinem Literaturnobelpreisgeld in der Altstadt von Lourmarin ein Haus. Hier arbeitete er an seinem letzten großen Werk, dem autobiografischen Roman „Der erste Mensch“. Und von hier aus machte sich Camus im Januar 1960 als Beifahrer des Verleger-Neffen Michel Gallimard auf den Weg nach Paris. Die beiden hatten einen Unfall, Camus war sofort tot. „Der erste Mensch“ hat er nie abgeschlossen, der Roman wurde 1994 unvollendet und postum veröffentlicht. Camus‘ Grab kann auf dem Friedhof von Lourmarin besichtigt werden, in seinem Haus in der Rue Albert Camus lebt auch heute noch seine Tochter Catherine. Eines von Camus‘ bekanntesten Werken, „Die Pest“ – das im ersten Corona-Frühling zum „Buch der Stunde“ ausgerufen wurde – entstand allerdings schon vor Camus‘ Lourmarin-Zeit. Nicht so literarisch wie bei Camus geht es beim britischen Schriftsteller Peter Mayle zu, der 1987 in die Provence zog. Sein 1989 erschienener amüsant-humorvoller Roman „Mein Jahr in der Provence“ ist ein Erlebnisbericht über sein erstes Jahr in der neuen Heimat. Das Buch verhalf nicht nur Mayle selbst zu Welterfolg (es wurde in 40 Sprachen übersetzt und verkaufte sich über vier Millionen Mal), sondern brachte auch den Luberon als Schauplatz des Romans ganz groß heraus: Unmengen an Tourist*innen lockten „Mein Jahr in der Provence“ und die Fortsetzung „Toujours Provence“ in den Luberon. Weil der Autor seine Adresse in einem Interview öffentlich preisgab, musste er 1997 sogar aus Frankreich fliehen, weil ihm unzählige Fans und Paparazzi vor seinem Bauernhaus auflauerten. Lang fernhalten konnte sich Mayle jedoch nicht. Einige Jahre später kehrte er zurück und ließ sich in Lourmarin nieder, wo er im Januar 2018 verstarb. Seine letzte proven-zalische Adresse hat der Bestsellerautor nicht mehr öffentlich preisgegeben.



„Der Mensch ist nichts an sich. Er ist nur eine grenzenlose Chance. Aber er ist der grenzenlos Verantwort-liche für diese Chance.“
Albert Camus



Legendäres Marseille

Bekannter als das kleine Lourmarin ist sicherlich Marseille. Marseille ist nach Paris die zweitgrößte Stadt Frankreichs und die Hauptstadt des Départements Bouches-du-Rhône. Zudem findet sich hier der wichtigste Hafen an der französischen Mittelmeerküste, und nicht zuletzt ist Marseille auch eine Literaturstadt. Victor Hugo, George Sand, Stendhal, Émile Zola, Gustave Flaubert, Arthur Rimbaud und viele weitere französische Autor*innen hielten sich hier auf. Der breiten Öffentlichkeit ist Marseille sicherlich aufgrund des Abenteuerromans und Klassikers „Der Graf von Monte Christo“ von Alexandre Dumas ein Begriff. Dumas veröffentlichte den Text zwischen 1844 und 1846 als Fortsetzungsroman in einer Zeitschrift. Auch wegen der zahlreichen filmischen Adaptationen zählt „Der Graf von Monte Christo“ heute zu den international bekanntesten Werken der französischen Literatur. Große Teile des Romans spielen in Marseille – vor allem im Château d’If, einer Festung vor der Küste der Stadt. In diesem ehemaligen Gefängnis saß der Seemann Edmond Dantès, Protagonist des Romans, über vierzehn Jahre lang unschuldig und als Opfer einer Intrige im Gefängnis, bevor ihm die Flucht gelingt und er als geheimnisvoller Graf von Monte Christo einen Racheplan schmiedet und verfolgt. Auch heute noch kann die Gefängnisinsel vor Marseille – samt der Zelle des imaginären Gefangenen – besichtigt werden und ist eine beliebte Touristen-Attraktion. Aber auch für Germanist*innen und alle, die sich mit deutscher Exilliteratur beschäftigen, ist Marseille keine Unbekannte, denn hier hielten sich in den dreißiger und vierziger Jahren so bekannte deutschsprachige Schriftsteller*innen wie Thomas Mann, Lion Feuchtwanger, Franz Werfel, Anna Seghers oder Max Ernst auf ihrer Flucht vor den Nationalsozialisten auf. Während sie darauf warteten, Europa von Marseille aus verlassen zu können, lebten und schrieben sie hier. Anna Seghers begann zum Beispiel mit der Arbeit an ihrem großen Roman „Transit“, in dem sie vom Leben unzähliger Flüchtlinge erzählt, die – genau wie sie selbst – in der „Zwischenwelt“ von Marseille feststecken. „Transit“ zählt zu den wichtigsten Werken der deutschen Exilliteratur. Auf den Spuren von Anna Seghers und anderen Autor*innen-Emigranten kann man auch heute noch wandeln, zum Beispiel im Rahmen einer geführten Literaturreise.



Mont Ventoux

Der Mont Ventoux ist primär nicht bei Literat*innen, sondern bei Sportler*innen und vor allem Fahrradfans bekannt. Im Jahr 1900 wurde der höchste Berg der Provence das erste Mal von einem Fahrradfahrer bezwungen, seit 1951 gehört er regelmäßig zu einer Tour de France-Etappe. Hier spielten sich diverse Dramen ab – zum Beispiel der Tod von Tom Simpson, der bei der Tour de France 1967 auf dem Mont Ventoux sein Leben ließ –, die die Geschichte des weltweit bekannten Radrennens prägten. Die literarische Geschichte des Berges, der 1990 von UNESCO zum Naturschutzgebiet erklärt wurde, begann allerdings schon viel früher. Und zwar 1336 mit Francesco Petrarca. Der italienische Dichter und Mitbegründer des Renaissance-Humanismus bestieg den Gipfel des Mont Ventoux am 26. April. Petrarcas Besteigung des „windigen Berges“ hatte keinen besonderen Grund, er unternahm die Wanderung freiwillig, aus der reinen Lust am Wandern heraus, die ihm eine „Erregung des Herzens“ bescherte. Aus diesem Grund gilt Francesco Petrarca als Vater der Bergsteiger und der 26. April 1336 als Geburtsstunde des Alpinismus. Sein Reisebericht „Die Besteigung des Mont Ventoux“ ist demnach die erste überlieferte Darstellung der freiwilligen Besteigung eines Berggipfels.



Romantikhotel Château de Mazan

Am Fuße des Mont Ventoux liegt das Château de Mazan, das einmal im Familienbesitz der de Sades war. Der berühmt-berüchtigte Marquis de Sade, der im 18. Jahrhundert durch seine gewaltpornografischen Romane bekannt wurde („im Vergleich zu seinen Texten liest sich „Shades of Grey“ wie ein Pixi-Buch“ schrieb die FAZ 2014), kam hier regelmäßig zu Besuch, musste aber aus der Provence fliehen, nachdem er ein Aphrodisiakum an einer Prostituierten in Marseille erprobt hatte. Vor dieser Flucht organisierte der Marquis in den Gärten des Schlosses eines der ersten Theaterfestivals in Frankreich. Heute ist das Château de Mazan ein charmantes Schlosshotel. Viele Hotelbesucher*innen residieren hier aufgrund des Mont Ventoux, der bis heute einen unwiderstehlichen Reiz ausübt. Oder sind es doch die an den Mont Ventoux angrenzenden berühmten Weinstöcke von Châteauneuf-du-Pape, die die meisten Besucher*innen anlocken?



Die 9. Kunst: Comics

Was bei einer Betrachtung der französischer Literatur nicht fehlen darf, sind Comics. Frankreich hat eine lange Comic-Tradition, und das französische Angoulême ist die Hochburg der Comic-Kultur, wo sich Comiczeichner*innen, Comicverleger*innen und Fans jedes Jahr zum Internationalen Comicfestival treffen. Bekannte frankobelgische Comic- klassiker sind zum Beispiel Tim und Struppi, Asterix, Lucky Luke oder das Marsupilami. Auch in diesem Bereich hat die Provence etwa zu bieten. Und zwar den Parc Spirou in Monteux, nordöstlich von Avignon. Dieser in 2018 eröffnete Park ist der erste Comic-Freizeitpark der Welt. Achterbahnen wie „Das Nest der Marsupilamis“ oder das „Spirou-Rennen“, eine Lucky Luke-Wasserrutsche, eine 3D-Fahrt mit Gaston, Souvenirshops und eine Buchhandlung mit einem riesigen Comic-Sortiment: Der Parc Spirou ist ein Abenteuer-Spielplatz für alle Fans französisch-belgischer Comics.



Viele Wege führen in die Provence: