Martin Kordić wurde 1983 in Celle geboren und wuchs in Mannheim auf. Er studierte in Hildesheim und Zagreb. Seit über zehn Jahren arbeitet er als Lektor in Buchverlagen, zunächst in Köln, heute in München. Für seinen Debütroman "Wie ich mir das Glück" vorstelle erhielt er den Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis sowie die Alfred-Döblin-Medaille. "Jahre mit Martha" ist sein zweiter Roman.

Lieber Martin Kordić, können Sie für uns umreißen, worum es in Ihrem Roman geht und was Sie zu dieser Geschichte bewegt hat?
Ich glaube, ich habe ein Buch geschrieben, das ich als jüngerer Mensch selbst gern gelesen hätte. Der Erzähler der Geschichte, Željko, ist von klein auf immer wieder konfrontiert mit der Botschaft: „Da gehörst du nicht hin.“ Sich gegen diese Zuschreibung zu wehren, Welten zusammenzuführen und dabei einen inneren Frieden zu finden, darum geht es in „Jahre mit Martha“. Den Rahmen für diese Entwicklung bildet die Beziehungsgeschichte von Željko zu einer deutlich älteren Frau, Martha Gruber. Er lernt sie kennen, weil seine Mutter bei ihr putzt. So fängt alles an.

Wieviel Biografisches enthält Ihr Roman?
Erfahrungen mit meinen Romanfiguren zu teilen, kann durchaus hilfreich sein, damit ich fühlen kann, worüber ich schreibe. Gleichzeitig benötige ich Abstand zwischen meinem Leben und dem Leben meiner Figuren, um die Dramaturgie einer Geschichte zu sehen und mit ihr arbeiten zu können, um Szenen zu erzählen, die nicht stattgefunden haben, aber stattgefunden haben könnten. Ich versuche beim Schreiben eine Balance zwischen Nähe und Distanz zur eigenen Biografie zu finden.

Haben Sie den ersten Satz zuerst geschrieben? Und lag alles bis zur letzten Seite bereits klar vor Ihrem geistigen Auge, als Sie mit dem Schreiben des Romans begannen?
Ursprünglich hatte ich vor, einen ganz anderen Roman zu schreiben. Wochenlang hatte ich dafür alle meine Zettel und verstreuten Notizen sortiert. Dann saß ich spät nachts vor einem leeren Dokument und fing an. Ich schrieb die ersten Sätze des Romans, die auch heute noch die ersten Sätze des Romans sind. Sie hatten nichts mit meinen vorangegangenen Überlegungen zu tun. Das fühlte sich richtig gut und befreiend an. Ich habe dann fünf Jahre lang einfach diese ersten Sätze zu Ende geschrieben.

Wir haben selten eine so schöne, entschleunigende Liebesannäherung gelesen wie das Schachspiel, das sich per Briefpost auf Quittungen, herausgerissenen Titelseiten und Zetteln über einige Wochen hinzieht: Wie kam Ihnen die Idee dazu?
Ich notiere selbst sehr viel auf allem, was gerade zur Hand ist. Wenn ich diese Notizen dann wiederfinde, freue ich mich oft mehr über die Artefakte, auf denen ich etwas aufgeschrieben habe als über die Notiz selbst. Sie erzählen eine Geschichte. Sich auf solchen Zetteln kleine Nachrichten zu schreiben, erweitert also das Gespräch, weil sie auch für sich schon etwas erzählen. Martha und Željko spielen auf diese Art eine möglichst lange Partie Fernschach, weil sie beide nicht wollen, dass ihr Zettel-Gespräch endet. Der Postweg und die damit einhergehende Entschleunigung macht jede Botschaft für beide noch wertvoller.

Haben Sie eine Lieblingsszene?
Ich mag den Übergang vom ersten Miteinanderschlafen von Martha und Željko auf einem Segelboot im Watt vor der Nordseeinsel Juist zur gemeinsamen Autofahrt bis tief hinein nach Bosnien-Herzegowina zu einer Beerdigung. Diese Seiten fühlen sich für mich an, als würde zum ersten Mal der ganze Eisberg sichtbar werden, von dem bis dahin im Roman immer nur die Spitze zu sehen war.

In "Jahre mit Martha" kommen viele Themen wie Liebe, Macht, Begehren, Klassismus, Rassismus, Bildungsmöglichkeiten, Identität, Herkunft, Kriegstraumata vor: Ist Ihnen ein Thema besonders wichtig?
In diesen Kategorien habe ich beim Schreiben nicht gedacht. Diese Themen sind in der individuellen Geschichte von Željko alle auch so sehr miteinander verschränkt, dass sie gar nicht unabhängig voneinander denkbar sind. Wichtig war mir beim Schreiben immer Željko.

Sie schreiben über die Wichtigkeit von Vorbildern, die einem zeigen, wer man ist oder wer man sein kann. Wer waren oder sind Ihre Vorbilder?
Als Heranwachsender habe ich gute Vorbilder oft vermisst. Heute scheinen mir vermittelte Lebensentwürfe von Menschen in der Öffentlichkeit viel diverser, widersprüchlicher, komplexer, selbstverständlicher, lässiger und nicht so festgeschrieben zu sein. Das finde ich richtig gut.

Waren Sie schon als Kind ein Bücherwurm? Gibt es Bücher, bei deren Lektüre Sie wussten, dass Sie ein Schriftsteller werden wollen würden?
Viel mehr als ein „Bücherwurm“ war ich wohl ein „Ruhesucher“. Ich bin als Kind gern in die Stadtbücherei gegangen, einfach nur weil es dort so schön ruhig war. Draußen das Leben und die Unruhe, bei den Büchern die Träume und die Ruhe. Bücher sind für mich ein Zufluchtsort. Und mein Schreiben hatte mit dem für mich etwas hochtrabend klingenden Wort „Schriftsteller“ lange Zeit gar nichts zu tun. „Einer, der schreibt“ trifft es besser, auch heute noch.

Was machen Sie gerne, wenn Sie nicht Bücher lektorieren oder schreiben?
Ich sitze gern am Meer, am liebsten in Kroatien. Hinter mir ein warmer Wald voller Pinien, rechts und links Felsen, vor mir das Wasser, in der Hand ein Buch.

Vielen Dank für das Gespräch.





Jahre mit Martha
Martin Kordić
S. FISCHER
Gebunden, 288 Seiten
978-3-10-397163-7
Euro 24,-






Wie ich mir das Glück vorstelle
Martin Kordić
FISCHER
Taschenbuch, 176 Seiten
978-3-596-03203-7
Euro 12,-


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