
Ich war dreißig Jahre depressiv. Ich muss damit leben. Und ich habe keinen Bock, das zu verheimlichen.“
Lieber Herr Krömer,
„Mut“ ist eines der Worte, das uns zu Ihrem Buch einfällt. Zum ersten war es sehr mutig von Ihnen, sich in unserer heutigen Gesellschaft (und auch noch als Publikumsfigur) zu „outen“, aber gleichzeitig gibt Ihr Buch vielen Menschen den Mut, sich mit dem Thema Depression auseinanderzusetzen und auch Hilfe aufzusuchen. Sie hätten den Kampf auch im Stillen führen können. Was hat Sie bewegt, den öffentlichen Weg zu gehen?
Ich bin im Herbst 2020 aus der Klinik gekommen, nach acht Wochen. Fünf Monate später war die Aufzeichnung von „Chez Krömer“. Und ich habe in diesen fünf Monaten gemerkt, dass ich das Thema nicht verdrängen kann. Ich war in der Klinik, ich war depressiv, 30 Jahre lang. Das war so präsent, dass ich dachte, ich muss das öffentlich machen. Ich wollte das aus meinem Kopf raushaben. Es ist auch eine therapeutische Maßnahme, solche Sachen aufzuschreiben. Dann verlässt der Gedanke das Gehirn und kommt über die Hand aufs Blatt. Dadurch geht die Geschichte aus dem Kopf raus. Meine Therapeuten haben gesagt, dass ich das Blatt Papier in den Schrank packen und die Tür zu machen soll. Ganz symbolisch. Das Ding ist weg, verschlossen.
Planen Sie auch weiterhin, Menschen zum Thema zu sensibilisieren?
Ja, weil ich das überhaupt nicht als Tabuthema, sondern als Krankheit ansehe, die einfach scheiße ist.
Wie kann die Außenwelt Ihrer Meinung nach jemandem, der an Depressionen leidet, sinnvoll Hilfe leisten?
Man kann sich an den Hausarzt wenden, an die Telefonseelsorge oder an die Deutsche Depressionshilfe. Dort kann man auf der Homepage sogar einen ersten Test machen.
Wie sieht ein guter Tag aus?
Ein guter Tag ist ein unbeschwerter Tag, an dem dieses Thema keine Rolle spielt.
Was zaubert heute ein Lächeln auf Ihr Gesicht?
Es gibt immer wieder mal Tage, an denen es ganz viel zu koordinieren gibt. Früher wäre ich schon alleine bei der Vorstellung an die anstehenden Aufgaben zusammengebrochen. Jetzt bekomme ich das ganz gut hin und bin dabei sogar manchmal gut gelaunt.
Was machen Sie, wenn Sie merken, dass die Stimmung kippt?
Klar gibt es auch Tage, die nicht so toll sind. Aber ich habe gelernt, das richtig einzuschätzen. Denn mittlerweile weiß ich, dass es normal ist, schlechte Laune zu haben und dass es morgen wieder gut ist.
Welche Komik kann man der Depression abgewinnen?
Da gibt es einiges und das werde ich sicher in meinem nächsten Bühnenprogramm verarbeiten. Mir ist es generell wichtig, dass man sich ernsten Themen auch humoristisch nähern kann.
Wie reagiert der Teil Ihres Publikums, der nur unterhalten werden möchte, darauf, mit Depression konfrontiert zu werden?
Die Frage kann ich bald beantworten, wenn ich mein neues Programm gespielt habe. Bis jetzt war das nie ein Thema. Wichtig ist mir, dass das nicht auf eine verkrampfte Art und Weise geschieht. Der Punkt ist ja genau der, dass es normal sein soll darüber zu sprechen, wie bei einem Beinbruch. Und da gibt es auch lustige Momente.
In welcher Phase Ihrer Verfasstheit fällt Ihnen das Kunstschaffen leichter – und wie unterscheidet sich die Kunst?
Zum Glück hat die Krankheit in meinem Fall gar keinen Einfluss auf die Kunst. Wenn man vor der Depression eine Vollmeise hat und witzig ist, dann ist das nach einer Therapie auch noch so.
Gibt es ein Buch, das Sie in letzter Zeit besonders bewegt hat?
In meinem letzten Urlaub habe ich „Zwei Herren am Strand“ gelesen, die Geschichte von Charlie Chaplin und Churchill, die beide Depressionen hatten und sich ihr Leben lang überlegt haben, wie sie sich umbringen können. Ich wusste nicht, dass Chaplin an starken Depressionen gelitten und mit suizidalen Wünschen gelebt hat. Sehr aufwühlend und interessant. Ich würde das Buch aber niemandem empfehlen, der noch an einer Depression leidet.
Vielen Dank für das Gespräch.
Krömers Buchtipp:
Zwei Herren am Strand
Michael Köhlmeier
dtv
Taschenbuch, 253 Seiten
978-3-423-14468-1
Euro 12,-
„Kurt Krömer bricht mit einem Tabu, um Menschen zu helfen, die unter Depressionen leiden. Er wirbt damit um einen offenen Umgang mit psychischen Krankheiten. Dieses Buch ist jedoch kein Leidensbericht, sondern eine lustige und liebenswerte Liebeserklärung an das Leben.“
Philipp Mosthaf, Frankfurter Neue Presse
Du darfst nicht alles glauben, was du denkst
Kurt Krömer
Kiepenheuer & Witsch
Gebunden, 192 Seiten
978-3-462-00254-6
Euro 20,-