„Wer seinen Körper versteht, kann klügere Entscheidungen treffen.“
Wir sprachen mit Yael Adler anlässlich ihres neuen Buchs „Genial ernährt“ über Nahrungsergänzung, gesunde Routinen und den Einfluss von Ernährung auf Haut, Darm und Wohlbefinden. Die Ärztin und Autorin plädiert für mehr Pflanzenkost, weniger Zucker und verarbeitete Lebensmittel – ohne Verbote, aber mit Achtsamkeit. Ihr Ziel: Menschen dazu ermutigen, sich bewusst und mit Freude um ihre Gesundheit zu kümmern.
Liebe Frau Dr. Adler, was war Ihr eigenes Aha-Erlebnis, das Sie dazu gebracht hat, sich intensiver mit Ernährung zu beschäftigen?
Ich war frustriert, dass Hauterkrankungen immer nur mit Cortison oder Antibiotika behandelt wurden – und die Probleme trotzdem wiederkamen. Die eigentliche Ursache wurde oft nicht angegangen. Dabei wussten Dermatologen schon lange, dass Ernährung eine Rolle spielt: Buttermilch galt als „Schönmacher“ und man wusste, dass Hefepilze im Darm oder der Magenkeim Helicobacter pylori Hautkrankheiten wie Rosazea oder Nesselsucht fördern können. Dann kamen immer mehr Studien heraus: Kuhmilch fördert Akne, Gluten kann Entzündungen begünstigen, Weizen in Kombination mit Sport löst bei manchen allergische Reaktionen aus. Das hat mich motiviert, genauer hinzuschauen. Ich begann, Blut- und Stuhlproben zu analysieren, um die Darmflora und Mikronährstoffe meiner Patienten zu untersuchen. Fehlendes füllten wir gezielt auf: Aminosäuren, Vitamine, Spurenelemente, Mineralien, Ballaststoffe. Zudem empfahlen wir probiotische Lebensmittel – und die Erfolge gaben uns recht.
Ihr Buch heißt „Genial ernährt!“ – was macht Ernährung für Sie „genial“?
Wer seinen Körper versteht, kann klügere Entscheidungen treffen – für mehr Gesundheit, Langlebigkeit, Vitalität und Lebensqualität. Es geht nicht um Perfektion, sondern um Balance. Wissen gibt Menschen Eigenverantwortung, macht sie unabhängiger von Ärzten und Apotheken. Für mich ist Körperwissen ein Grundrecht – eine essenzielle Form der Bildung. „Genial ernährt“ soll genau das widerspiegeln: gesunde Ernährung, Genuss und ein positives Lebensgefühl.

Was haben Sie beim Schreiben über Ernährung selbst dazugelernt, das Sie überrascht hat?
Vor alle, wie wertvolle und gefährdet unser Wasser ist – und das Leitungswasser oft nicht schlechter ist als Mineralwasser. Wir müssen Wasserschutz ernst nehmen und gleichzeitig unseren Körper bei der Entgiftung unterstützen, denn Umweltgifte sind kaum vermeidbar. Spannend fand ich auch den Einfluss von Zuckerersatzstoffen: Tagatose stärkt die Darmflora, Galactose das Gehirn, und aus beiden können Krebszellen keine Energie gewinnen. Süßstoffe lassen sich clever einsetzen – mit Glycin, Yaconpulver oder Vanille, Kakao und Zimt. Auch kleine Ernährungstricks bringen viel: 30 g Ballaststoffe täglich oder 30 verschiedene pflanzliche Lebensmittel pro Woche fördern eine gesunde Darmflora. Das alles bewusst zu tracken und zu optimieren, kann die Gesundheit enorm verbessern.
In der heutigen Zeit sind viele Menschen verunsichert, was sie essen „dürfen“. Wie finden wir zurück zu einem entspannten Umgang mit dem Essen?
Am besten hilft es, sich darauf zu besinnen, was die Natur für unseren Körper vorgesehen hat – unser Körperwissen. Jeder Mensch ist unterschiedlich ist und braucht individuelle Ansätze. Für den einen funktionieren vielleicht zwei Mahlzeiten in einem 8-Stunden-Zeitfenste, während ein anderer mir fünf kleinen Mahlzeiten besser zurechtkommt. Ebenso variiert die Fähigkeit, Kohlenhydrate und Fett verdauen. Einigkeit besteht darin, dass stark industriell stark veränderte Lebensmittel problematisch sind – je mehr als drei bis fünf Inhaltsstoffe, desto vorsichtiger sollte man sein. Wurstwaren, Limonaden und übermäßiger Alkoholkonsum gehören ebenso in die Kategorie „eher vermeiden“, während Kaffee, Kräutertee und Wasser in Ordnung sind. Es geht nicht um Verbote, sondern um eine gesunde Regelmäßigkeit. Wer grundsätzlich gut versorgt ist, kann sich auch mal Dinge leisten, die außerhalb dieser gesunden Ernährung sind. Und manchmal können Nahrungsergänzungsmittel sinnvoll sein, wenn die Lebensmittel nicht mehr alles liefern – was sich sogar im Blut messen lässt. Letztlich geht es darum, mit etwas Orientierung und Bewusstsein für den eigenen Körper einen Weg zu finden, der individuell passt.
Sie schreiben, dass Balance entscheidend ist. Wie gelingt Ihnen persönlich die Balance zwischen Genuss und Gesundheit?
Essen sollte immer schmecken und immer Genuss sein – es soll kein Balanceakt sein. Gesunde Ernährung kann auch richtig lecker sein. Besonders Pflanzenkost überrascht mich mit ihrer Vielfalt an Aromen, Konsistenzen und kreativen Zubereitungsmöglichkeiten. Es ist wie eine Mischung aus Kunst und Chemie, bei der man experimentiert und immer wieder Neues entdeckt. Wenn man spürt, dass man profitiert – besserer Schlaf, mehr Freude, Dinge zu tun, bei denen ich auch körperlich spüre, dass ich profitiere. Gerade als jemand, der sich oft Sorgen um Gesundheit macht, ist es echt echtes Plus, wenn Essen nicht nur gesund ist, sondern auch noch richtig gut schmeckt.
Wie stehen Sie zu Nahrungsergänzungsmitteln? Sind sie ein Muss oder Kann?
Ich arbeite sehr viel mit Nahrungsergänzungsmitteln, nehme sie auch selbst und messe als Ernährungsmedizinerin regelmäßig die Blutspiegel meiner Patienten – oft stellen wir fest, dass selbst bei gesund Ernährung Mikronährstoffe wie Vitamin D (mit K), Selen, Omega-Fettsäuren und Magnesium zu kurz kommen. Magnesium unterstützt beispielsweise Verdauung, Herzfunktion, Muskelaktivität und Schlaf, auch wenn es im Blut nicht zwingend im Mangel ist. Jod und Zink, vor allem bei Hautpatienten, werden oft ergänzt, während fast alle von einer gezielten Substitution der fehlenden Nährstoffe profitieren. Die Wirkung zeigt sich eindrucksvoll: weniger Entzündung, bessere Haare, gesündere Haut und Nägel sowie ein gestärktes Immunsystem. Als Hautärztin sehe ich den Unterschied direkt – vor und nach der gezielten Behandlung. Nahrungsergänzungsmittel, meist höher dosiert als das, was unsere Ernährung liefert, können so internistische und dermatologische Parameter deutlich verbessern.
Haben Sie selbst ein Laster – Schokolade, Chips oder etwas anderes? Und wie gehen Sie damit um?
Ich genieße Süßes in Maßen – ein bisschen Zartbitterschokolade oder Käsekuchen, den ich esse, wenn ich mal große Lust draufhabe. Chips und ähnliche Snacks meide ich, weil sie mir zu salzig und fettig sind und kein gutes Gefühl hinterlassen. Durch diese bewusste Routine haben sich meine Geschmacksknospen an natürliche Aromen gewöhnt. Neulich erzählte mir ein sportlicher junger Mann, dass er nach Monaten ohne Zucker einen kleinen Riegel als unfassbar süß empfand. Unser Gehirn ist zwar evolutionär darauf programmiert, energiereiche Lebensmittel wie süße Früchte zu schätzen – in der heutigen Fülle führt das aber zu Problemen wie Diabetes und einer verfetteten Leber. Dieses Wissen hilft mir, die sogenannten Laster nicht überhaupt nicht zu mögen. Dennoch gilt: Jeder Mensch ist anders. Es geht nicht um strenge Verbote, sondern um Balance.
In Ihrem Buch geht es auch um die Bedeutung von Gewohnheiten. Welche kleinen Alltagsgewohnheiten machen einen großen Unterschied?
Gewohnheiten sind essenziell, denn unser Körper liebt Regelmäßigkeit. Er folgt einem natürlichen Tag-Nacht-Rhythmus, der berücksichtigt werden sollte. So vertragen wir Kohlenhydrate morgens besser als abends – abends können sie den Anstieg von Wachstumshormonen reduzieren, was den Fettabbauen und Muskelaufbau beeinträchtigt. Wer abzunehmen möchte, sollte Kohlenhydrate lieber zum Frühstück genießen. Ein fester Rhythmus erleichtert es dem Körper auch, sich zu regenerieren. Nachts braucht unsere Darmflora Ruhe – die Nacht ist quasi eine natürliche Fastenphase, die mit dem Frühstück (dem „Break Fast“) als Fastenbrechen endet. Es geht nicht darum, Mahlzeiten komplett zu streichen, sondern vielmehr darum, positive Elemente wie mehr Ballaststoffe, bunte Pflanzenkost und, falls nötig, eine angepasste Eiweißzufuhr hinzuzufügen. Kleine, regelmäßige Anpassungen bewirken oft schon nach drei bis sechs Wochen erste sichtbare Verbesserungen. So lassen sich ungesunde Angewohnheiten minimieren, ohne auf Genuss zu verzichten.
Wenn Sie für einen Tag die Macht hätten, die Essgewohnheiten der Deutschen zu ändern – was würden Sie tun?
Ich möchte Menschen motivieren, mehr Pflanzenkost zu essen – idealerweise regional, saisonal und, wenn möglich, bio. In der Schweiz sieht man, wie frische, reife Früchte die Aromen intensivieren und sich positiv auf die Darmflora auswirken. Dort habe ich beobachtet, dass Menschen – selbst in der Großstadt – oft eine deutliche höhere Vielfalt an Darmbakterien haben als hier. Das liegt vermutlich daran, dass sie auf naturbelassene, unveränderte Lebensmittel wie Urgemüse und alte Wurzelgemüse setzen. Weniger Zucker, weniger Salz und vor allem weniger industriell verarbeitete Produkte wie gepökeltes Fleisch oder Fertigprodukte sind ebenfalls zentral. Ich empfehle meinen Patienten, täglich etwa 30 g Ballaststoffe zu sich zu nehmen, da dies einen enormen positiven Effekt auf die Gesundheit hat. Auch in der institutionellen Ernährung, etwa in Kindergärten, Schulen und Krankenhäusern, sollte stärker auf eine bedarfsgerechte, naturbelassene Kost gesetzt werden – denn gutes Essen ist nicht nur Genuss, sondern kann auch Heilung fördern.
Wenn man Sie spontan zu einem Essen einladen würde – was sollte auf dem Teller liegen, damit Sie sich rundum wohlfühlen?
Ich liebe Gemüse in allen Variationen. Ein Espresso statt Dessert reicht mir, und auch wenn ich kein großer Fleischfan bin, esse ich beim Grillen auch mal ein Stück. Mein Lieblingsessen bleibt aber stets Gemüse mit Tofu oder Bohnen. Kartoffeln mag ich auch. Mir ist wichtig zu betonen, dass mein Essstil nicht der einzige richtige Weg ist. Jeder hat seinen eigenen Geschmack und unterschiedliche Bedürfnisse – was für den einen funktioniert, muss nicht für alle passen. Genetische Faktoren und die prägenden Essgewohnheiten aus der Kindheit spielen dabei eine Rolle. Außerdem möchte ich vor dem „Richtigessen“ (Orthorexie) warnen. Social Media zeigt oft ein Ideal, das mehr Stress als Freude bereitet. Es geht nicht darum, Makronährstoffe wie Kohlenhydrate, Proteine und Fette komplett zu verbannen, sondern eine Balance zu finden.
Was ist Ihr größter Wunsch, den Leserinnen und Leser aus „Genial ernährt!“ mitnehmen?
In meinem Buch „Genial vital“ zeige ich, dass gesunde Langlebigkeit auf mehreren Säulen beruht – eine davon ist die Ernährung. Sich klug zu ernähren ist nicht nur präventiv, sondern wirkt auch therapeutisch gegen viele Zivilisationskrankheiten. Achtsamkeit spielt dabei eine Schlüsselrolle: Wer sich selbst und seinem Körper Wertschätzung entgegenbringt, kann sichtbare Verbesserungen erzielen – etwa in den Blutwerten und im allgemeinen Wohlbefinden. Es geht darum, kritisch zu bleiben und nicht jedem Trend im Internet blind zu folgen, sondern logisch zu denken und selbst aktiv für die eigene Gesundheit zu sorgen. So wird man stark, unabhängig und selbstbewusst.
Und zum Schluss: Welches Buch hat Sie zuletzt begeistert?
Ich lese vor allem Sachbücher, die mich in den Bereichen Ernährung, Langlebigkeit und Psychologie weiterbringen. Eines meiner Lieblingsbücher ist „Grundformen der Angst“ von Fritz Riemann – es bietet spannende Einblicke in verschiedene Persönlichkeitstypen und deren Entstehung. Neben klassischen Ernährungs- und Mikronährstoff-Lehrwerken haben mich auch Dr. Michael Gregors „How Not to Diet“ und „How Not to Age“ beeindruckt. Ich liebe es, ständig dazuzulernen, und finde, dass jedes Buch, das ich lese, mich dazu bringt, Themen noch einmal neu zu durchdenken und zu verstehen.