Frank Schätzing

„Der Rückkehr ins 13. Jahrhundert stand nichts mehr im Wege.“

Wir sprachen mit Frank Schätzing über seinen neuen historischen Roman „Helden“.

Lieber Herr Schätzing, wie kam es knapp 30 Jahre nach „Tod und Teufel“, Ihrem schriftstellerischen Debüt, zu einem Wiedersehen mit Jacop dem Fuchs?

Vor ein paar Jahren unter der Dusche. Ich hatte seit den Neunzigern nicht mehr über „Tod und Teufel“ nachgedacht, geschweige denn über eine Fortsetzung, und dann plötzlich, ungeplant und unerwartet, hatte ich diese Idee. Aus heiterem Himmel eröffnete sich ein neues erzählerisches Universum. Alles Weitere hing davon ab, ob ich in „Tod und Teufel“ eine bestimmte Information schuldig geblieben war. War ich. Damit stand der Rückkehr ins 13. Jahrhundert nichts mehr im Wege.

© KiWi

„Helden“ setzt drei Jahre nach „Tod und Teufel“ an. Was ist in der Zwischenzeit passiert und wie ist es Jacop, unserem charmanten Helden, ergangen?

von Unruhen erschütterte England. Dort spielt die Haupthandlung. Die Jahre zuvor erleben wir in Rückblenden. Jacop ist ehrbar geworden, reist als Kaufmann nach Brügge, Paris und London, gelangt bis an den englischen Königshof. In Köln eskalieren die Machtkämpfe, wir sehen Jaspar, Richmodis, die Overstolzen wieder, alle machen teils verblüffende Entwicklungen durch und schmieden unerwartete Allianzen. Neue Hauptfiguren kommen hinzu: Gereon von der Alten Bärin, Draufgänger und Finanzgenie und aktuell Jacops bester Kumpel, Eleanor, die Königin von England, eine begnadete Intrigantin, ihre glamouröse Widersacherin Nora und der charismatische Rebellenführer Simon de Montfort, die schottische Heerführerin Muirgheal, ein ziemlich furchteinflößendes Weib, das mit Seeadlern Jagd auf Menschen macht, korrupte Schöffen, machthungrige Kaufleute, Söldner, Spielleute, Höflinge, usw.

Können Sie kurz die Story von „Helden“ für unsere Leserinnen und Leser anreißen?

Zunächst, „Helden“ basiert zwar auf dem Vorgänger, erzählt aber eine ganz eigenständige, in sich abgeschlossene Geschichte aus dem größeren Jacop-der-Fuchs-Universum. Man muss „Tod und Teufel“ also nicht zwingend gelesen haben, wenngleich ich es natürlich empfehle. Im Kern handelt „Helden“ von einer abendländischen Welt im Umbruch. Vom Heraufdämmern einer neuen Zeit, eines sich selbst entdeckenden Europa, in dem die Renaissance bereits aufscheint. Dank Jaspar und mithilfe des einstigen Gegners Mathias Overstolz führt Jacops Weg steil nach oben und gerät dann unversehens zum Höllensturz. Alles hält ihn jetzt auf Trab: die Geheimnisse seiner Kindheit, seine turbulente Beziehung zu Richmodis, alte und neue Dämonen, Verrat und Intrigen – selbst der Höllenfürst scheint sich plötzlich für ihn zu interessieren.

“In Helden wird jeder seine ganz persönlichen Heroes finden - nur Jacop werden alle lieben.”

Frank Schätzing

Welche historischen Ereignisse, Persönlichkeiten oder Mythen haben Sie für „Helden“ besonders fasziniert?

Die Hintergrundgeschichte finde ich enorm spannend. Im 13. Jahrhundert erschütterte ein politisches Beben England, dessen Schockwellen bis nach Paris und Rom reichten. Auch Köln war betroffen, immerhin einer der wichtigsten englischen Handelspartner. Der mächtige Earl of Leicester Simon de Montfort, eine schillernde Figur, zettelte eine Revolte an gegen seinen Schwager König Henry III. mit dem Ziel, die Monarchie auf eine rein konstitutionelle Funktion zurechtzustutzen. Wie wir sie aus dem heutigen England kennen. Regieren sollte ein Rat, in dem die Vertreter sämtlicher Stände säßen, auch Bürger und Bauern. Undenkbar zu der Zeit! Heute gilt Montfort als Vater des House of Commons, als englischer Held. Mich reizten die Widersprüche an ihm. Nach allem, was man über ihn weiß, war er gutaussehend, charismatisch, witzig, hochintelligent. Ein Visionär mit bemerkenswert humanistischen Zielen, die er jedoch auf skrupellose, perfide Weise verfolgte. Sein Vorgehen, mit dem er den König in die Knie zwang und das englische Volk auf seine Seite brachte, ist eine Lehrstunde in modernem Populismus. Und warf für mich die Frage auf, wie viel Populismus eigentlich zulässig ist, wenn die Ziele stimmen. Diesem Mann kommt Jacop in die Quere, was sein Leben komplett auf den Kopf stellt. Montfort ist praktisch für alles verantwortlich, was ihm in England widerfährt.

Wie wichtig ist Ihnen die historische Genauigkeit für Ihre Arbeit?

Bei so einer Story darf man nicht schludern. Da muss alles stimmen, bis ins Detail. Der Trick ist, nicht nur zu recherchieren, was man unmittelbar braucht, sondern so viel Material wie möglich zusammenzutragen, auch wenn man das meiste gar nicht verwendet. Erst dann stellt sich ein stimmiges Grundrauschen ein. Leserinnen und Leser sollen spüren, dass ich mich in meiner Welt auskenne, als hätte ich da gelebt. Hat man als Rechercheur seine Hausaufgaben

Was sind die größten Herausforderungen bei der Fortsetzung einer Geschichte nach so vielen Jahren?

Im Grunde nur eine: nicht auf der Stelle zu treten. „Tod und Teufel“ handelte von einer Stadt im 13. Jahrhundert. „Helden“ handelt von der Welt des 13. Jahrhunderts. Vom Siegeszug des Geldes und des Kapitalismus, vom Erblühen der Städte, vom Aufstieg multinationaler Handelsunternehmen, auch wenn es den Begriff der Nation nicht so gab, wie wir ihn heute gebrauchen. Aber das Zusammenwachsen Europas setzte im Gegenzug nationalistische Gefühle frei, ein bekanntes Spannungsfeld. „Helden“ handelt zudem von der Befreiung des Geistes aus den Fesseln blinden Glaubens und thematisiert so den Anfang vom Ende des Mittelalters. Mir war daran gelegen, die Figuren und Motive aus „Tod und Teufel“ weiterentwickeln und etwas wirklich Neues, aufregend Anderes zu erzählen. Einfach einen weiteren Kriminalfall in Köln zu schildern, den Jacop löst, hätte mich nicht interessiert.

Wie hat sich Ihr Schreibprozess seit „Tod und Teufel“ verändert?

Die Möglichkeiten der Recherche haben sich enorm verbessert. Vor dreißig Jahren hätte ich „Helden“ so gar nicht schreiben können. Oder sagen wir, ich hätte erheblich länger dafür gebraucht und wäre doch nicht in den Besitz aller Informationen gelangt. Das Internet ist nützlich beim Aufspüren ausländischer Quellen. Mein Schreibprozess selbst hat sich kaum verändert. Ich war immer schon bis in die Haarspitzen durchtechnisiert, arbeite mit den neuesten Gerätschaften. Die digitale Vernetzung aller Wissensfelder, um schnell Zugriff auf jede Information zu erlangen, ist für mich das A und O. Wie in den Neunzigern lese ich, was ich an Wissenswertem in die Finger bekomme, schaue Dokus, fahre zu Schauplätzen, unterhalte mich mit Experten, schreibe im Gehen und Stehen, konzipiere den Fortgang der Handlung beim Joggen, Duschen, auf Reisen, puzzele aus allem ein Ganzes zusammen. Ich schreibe nie chronologisch, sondern arbeite an allen Kapiteln zugleich. Hauptsache, ich komme oft raus! An die frische Luft, unter Menschen.

Gibt es einen Lieblingsort oder ein Lieblingsdetail aus dem mittelalterlichen Köln?

In „Tod und Teufel“ war es der Dom. Wenig überraschend. In „Helden“ ist es, Köln betreffend, der Bayenturm, um den eine gewaltige Schlacht entbrennt, übrigens die eigentliche Befreiungsschlacht der Kölner lange vor Worringen. Mein wahrer Lieblingsort in „Helden“ ist allerdings der mythendunkle, uralte Eichenwald um Windsor Castle. Als ich dort war, wusste ich, hier erfüllen sich Schicksale.

Mittelalter ohne Rückkehr: Würden Sie diese Zeitreise antreten?

Nein. Köln ohne Rückkehr aber auch nicht. Ein Weilchen ins 13. Jahrhundert, sofort! Es war eine fremde, aber eben keine dunkle Zeit, sondern funkelnd und vielfältig. Den Sommer dort verbringen, gut ausgebildet im Schwertkampf, als Gast von Mathias Overstolz, gern! Oder mit Adelinda Artemia, der Joglaressa, die Jacop in „Helden“, den Kopf verdreht, von Hof zu Hof ziehen und Musik machen. Aber immer mit Rückfahrt-Ticket. Das Bier damals schmeckte einfach scheußlich.

Was wäre die schönste Reaktion Ihrer Leserschaft auf die Rückkehr von Jacop?

Dass die, die ihn schon kennen, sagen: „Mensch, wo warst Du denn so lange?“, und Jüngere, die ihm erstmals begegnen, ihn als coolen Helden für sich entdecken.

Haben Sie eine Lieblingsbuchhandlung? Und welches Buch hat Sie zuletzt begeistert?

„Der andere Buchladen“ am Kölner Ubierring, wunderbare Menschen. Gerade lese ich „London NW“ von Zadie Smith. Ich liebe London. Smith schreibt über einen Teil, in den es mich noch nicht verschlagen hat, in einer hinreißenden Sprache.

Zum Schluss: Gibt es etwas, das Sie Ihren Lesern und den Buchhändlern, die Ihr Buch verkaufen werden, mit auf den Weg geben möchten?

Das überlasse ich Jacop. Der sagt es mit den Worten Arnold Schwarzeneggers: „I’ll be back!“ Sie können sich also auf ein weiteres Wiedersehen mit ihm verlassen.

Vielen Dank für das Gespräch!

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