Ein Interview mit

Caroline Wahl

Caroline Wahl: Ein Wiedersehen

Liebe Caroline Wahl, wir haben uns wie die Schneekönige gefreut, als Ihre von uns so heiß geliebten „22 Bahnen“ vergangenes Jahr zum Lieblingsbuch der Unabhängigen gewählt wurden. Und ebenso haben wir uns gefreut, dass wir nun ein zweites Buch von Ihnen lesen konnten. In “Windstärke 17” unternimmt Tildas kleine Schwester Ida ihre eigene Reise nach Rügen. Was hat Sie dazu bewogen, Idas Geschichte weiterzuerzählen?

Am Ende des Lektorats von „22 Bahnen“ keimte der Wunsch auf, vielleicht irgendwann (vor 2033) auch die Geschichte der erwachsenen Ida zu erzählen. Es tat weh, Ida bei der Mutter zurückzulassen, und ich habe mich gefragt, wie das für Ida sein wird, was das mit ihr macht. Agentin und Lektorin waren einverstanden, die Zeitreferenzen (Musik, Kleidung etc.) wurden um 10 Jahre nach vorne versetzt, und dann habe ich selbstverständlich umgehend nach der Druckfreigabe von „22 Bahnen“ mit Idas Geschichte angefangen.

Die Insel Rügen ist der zentrale Schauplatz in “Windstärke 17”. Gibt es einen Ort auf der Insel, der Ihnen persönlich besonders am Herzen liegt oder Sie besonders inspiriert hat?

Ehrlich gesagt habe ich den Roman geschrieben, ohne je auf Rügen gewesen zu sein. Ida hat sich irgendwie für die Insel entschieden, als sie im Zug saß. Sie wollte ans Meer, weitgenug weg von der toten Mutter, und die Endstation Stralsund war nicht genug Distanz, also brachte sie noch die Ostsee dazwischen. Ich bin dann aber ziemlich am Ende des Schreibprozesses hingefahren, habe alles überprüft und angeglichen und habe mich ein bisschen in die Insel verliebt. Ein Ort, der mich voll gekriegt hat, war der Sassnitzer Wald, die Piratenschlucht. Da schaut man vom Wald, die Schlucht herunter in die türkis leuchtende Ostsee und fühlt sich wie eine Piratin. Die Piratenschlucht wird Leif Ida auch noch zeigen.

Wie wichtig ist Ihnen der Ort als Element in Ihren Geschichten, und wie trägt er zur Entwicklung der Charaktere bei?

Ich denke, der Ort ist sehr wichtig in meinen Geschichten, allein schon als Spiegel des Innenlebens der Figuren. In „Windstärke 17“ spielt er eine zentrale Rolle. Die Insel, die Ostsee, das wechselhafte Wetter, diese ganz besondere Inselstimmung, ich würde Rügen vielleicht sogar als weitere Protagonistin bezeichnen.

Ida und Leif bieten einander Trost in ihren jeweiligen Schmerzen. Und die Nachricht von Mariannes Krankheit führt zu einem erneuten Ausbruch von Schmerz bei Ida. Wie balancieren Sie die Darstellung von Hoffnung und Verzweiflung in Ihrem Schreiben aus, und wie entscheiden Sie, welche Wendungen die Charaktere durchleben müssen?

Das passiert alles sehr intuitiv und dahinter stecken meistens keine großen, durchdachten Entscheidungen. Die Figuren entwickeln in meinem Kopf, während des Schreibens, recht schnell ein Eigenleben (wobei mir natürlich auch eine kleine Schriftstellerin im Nacken sitzt, die mir ab und zu leise Begriffe wie „Dramaturgie“, „Grenzüberschreitung“ oder „Figurenentwicklung“ ins Ohr flüstert). Ich spürte, als Ida bei Marianne und Knut war, dass da noch ein weiterer Sturm aufzieht, und als Marianne dann den Satz „Ich habe Metastasen in Lunge, Leber und Knochen“ gesagt hat, ist nicht nur Idas Welt zusammengebrochen, sondern auch meine ein bisschen. Aber ich konnte es irgendwie nicht mehr ändern.

Nach dem Erfolg von “22 Bahnen” gab es vermutlich Erwartungen und auch Druck, wie Sie Ihren nächsten Roman angehen würden. Wie haben Sie sich auf den kreativen Prozess von “Windstärke 17” eingelassen, und gab es Momente, in denen Sie mit dem sogenannten “Fluch des zweiten Buches” konfrontiert waren?

Da gabs keine Vorbereitung. Ich habe einfach sofort angefangen, Idas Geschichte zu erzählen, als „22 Bahnen“ abgeschlossen war, weil ich Angst hatte, dass ich sonst nicht Autorin bleibe, und auch weil ich schauen wollte, ob es wieder fließt. Der Fluch des zweiten Buches hat mich nicht getroffen. Beim Schreiben bin ich voll in der Geschichte. Ich bin mit Ida nach Rügen unterwegs und kämpfe mit anderen Problemen als mit Flüchen vom zweiten Buch, ich verliebe mich in Leif und bin traurig und wütend, dass die Mutter gestorben ist.

Sie haben erwähnt, dass Sie beim Schreiben nicht an das Publikum denken, sondern sich auf die Geschichte Ihrer Charaktere konzentrieren. Hat sich diese Herangehensweise zwischen Ihrem ersten und zweiten Buch verändert, besonders unter Berücksichtigung des Erfolgs Ihres Debüts?

Nein, das hat sich zum Glück nicht verändert. Ganz im Gegenteil, jetzt wo ich weiß, dass Schreiben meine Berufung ist, kann ich mich dem Prozess und dem Buch und der Welt noch mehr hingeben, und das ist wahnsinnig schön. Ich will mich als Autorin nicht so wichtig nehmen, Erfolg kommt und geht, wichtig ist, dass ich weiterschreibe. Und ich werde dafür kämpfen, dass ich weiterschreibe, weil sich nichts so richtig und gut anfühlt.

Wenn Sie einen Tag mit Ida oder Tilda verbringen könnten, wen würden Sie wählen und was würden Sie gerne zusammen unternehmen?

Ich würde Ida wählen und ich würde mit ihr in der Ostsee planschen. Wir würden uns pinke Schwimmringe kaufen. Dann würden wir ins Meer schwimmen, ganz weit raus, fast zu weit raus, uns in die Schwimmringe legen und ein bisschen treiben lassen.

Was ist der beste Ratschlag, den Sie als Autorin jemals erhalten haben, und wie hat er Sie in Ihrer Karriere beeinflusst?

Der wichtigste Ratschlag kommt von mir selbst und der heißt, sich nicht so sehr von Ratschlägen anderer leiten zu lassen. Man muss seinen eigenen Weg finden und wenn sich etwas richtig und gut anfühlt, dann sollte man dafür kämpfen, weil dann ist es nämlich meistens auch richtig und gut.

Zum Schluss: Wie blicken Sie in die Zukunft? Gibt es bereits Ideen für ein neues Projekt?

Ich blicke vorfreudig in die Zukunft. Ich kann es nicht abwarten, dass „Windstärke 17“ veröffentlich wird, und ich habe so Bock auf die weiteren Geschichten, in die ich mich reinschmeißen werde. Gerade sitze ich auf Bali und schreibe an meinem dritten Roman, und ich kann es auch nicht abwarten, dass der veröffentlicht wird. Die Buchbranche ist aufregend, vor allem ist es aufregend, was ständig für tolle Romane von tollen Autor*innen erscheinen, und ich bin stolz und dankbar dafür, ein Teil davon zu sein.

Vielen Dank für das Gespräch.

Caroline Wahl

Windstärke 17

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Caroline Wahl

22 Bahnen

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