Literarische Spaziergang Eifel

Wandersteg im Hohen Venn © AdobeStock

Eifel Eher rau und lyrisch als krimivergnüglich: die Eifel. Ohne Krimis scheint es im »wilden Westen« literarisch nicht zu gehen. Eine regelrechte Flut des Subgenres erschien seit Anfang der 1990er-Jahre. Doch die Eifel bietet auf ihren sechstausend Quadratkilometern nicht nur lustig angerichtete Romanleichen, sondern auf andere Weise wahrhaft Bewegendes.

KRIMIFIEBER WOHIN MAN SCHAUT

Hillesheim ist ein reizendes kleines Städtchen mit bunten Fassaden, die sich im Ortskern rund um die dem Heiligen Martin geweihte Pfarrkirche schmiegen, bewacht von Teilen einer begehbaren mittelalterlichen Stadtmauer. Der erste Eindruck: Hier ist die Welt noch in Ordnung. So sehr, dass als kontrastierendes touristisches Lockmittel für den zweiten und dritten Eindruck ein Krimihotel und ein Kriminalhaus samt Krimiarchiv und Café Sherlock erfunden wurden. Im plüschigen Hotel, das einer Agatha Christie würdig ist, sorgt ein Escape Room für wohldosierten Schrecken.

Kriminalhaus in Hillesheim © Das Kriminalhaus, Hillesheim
Krimi-Archiv © Das Kriminalhaus, Hillesheim

Im Krimiarchiv kann man sich durch rund dreißigtausend Bände schmökern. Es gibt rund um Hillesheim Krimitouren mit dem Oldtimerbus oder Krimiwanderungen zu Fuß, mit oder ohne Führung. Und ja, es lohnt sich: Ein längst aufgelassener Steinbruch bei Kerpen, in Katzensprungweite einer mittelalterlichen Burg, in dessen fossilienreichen Steilwänden majestätische Uhus hausen; ein wachsender Wasserfall bei Nohn mit wild wuchernden Moosen; allerlei urige Locations mit Eifeler Gastlichkeit wie gegenüber vom Ex-Kloster in Niederehe … Auch ganz ohne kriminelle Ambitionen wirken die Geologie und die Historie der Hillesheimer Kalkmulde als Adrenalinkick. All diese Touren sind die Spätfolgen des Wirkens von Jacques Berndorf, einem Journalisten, der unter seinem bürgerlichen Namen Michael Preute in den 1980er-Jahren aus München in den Hillesheimer Nachbarweiler Berndorf zog und sich neu erfand. Nicht nur sich selbst, sondern den Protagonisten Siggi Baumeister gleich mit. Mehr als zwanzig Romane lang währte das Schaffen, welches gemeinhin als Auftakt des Booms von deutschen Regionalkrimis gilt.

DIE WEHMUT VON ARBEIT UND GEBET

Fachwerkhäuser in Monschau an der Rur © AdobeStock

Auf der Suche nach dem lesens- und sehenswerten Profil der Eifel kann man sich jedoch auch anderen Genres und Schauplätzen zuwenden. Zum Beispiel den in lyrischem Erzählton verfassten Romanen von Norbert Scheuer. Er ist in der Abteistadt Prüm in der Schneifel geboren, im Mittelalter eines der Zentren des weitverzweigten Karolingerreiches. Eine in schickem Rosa gehaltene barocke Basilika, angeblich Aufbewahrungsort der Sandalen Christi, kontrastiert reizvoll mit dem Dunkelgrün der bewaldeten Hänge rings um die Kleinstadt. Heute lebt Scheuer in der Nordeifel. Seit 2014 hat er an der Uni Bonn die Thomas-Kling-Poetikdozentur der Kunststiftung NRW inne und war mit seinen Romanen »Überm Rauschen« und »Winterbienen« auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises. In den Romanen ist immer wieder seine Wahlheimat Kall im Urfttal ein wichtiger Anker und Lebensmittelpunkt der Protagonisten … insbesondere das Café eines Supermarktes, in dem man sich trifft und erzählt, schweigt und grübelt, träumt und rebelliert, je nachdem.

Sankt-Salvator-Basilika in Prüm @ AdobeStock

Kall mit seinen rund elftausend Einwohner:innen liegt im Nationalpark Eifel und versprüht dabei die waldumsäumte Melancholie einer einstigen Bergbausiedlung, Eisen und Blei wurden aus dem mächtigen Buntsandsteinmassiv gefördert und verhüttet. Es ist ein Ort, an dem die Arbeit regiert, und Scheuer fängt eine Atmosphäre zwischen schüchterner, unbeirrbarer Hoffnung und steter Anwesenheit des Scheiterns perfekt ein. Irgendwie hält es die Menschen trotz allem, sie halten einander. Bodenständig … das Wort trifft die Mentalität der Eifeler. An die mühselige Vergangenheit erinnert ein montanhistorischer Pingenwanderweg. Außer seinen Metallen musste das Urfttal auch sein klares Wasser hergeben. Ein Kanal brachte die lebenswichtige Ressource zu Römerzeiten nach Köln, die von einem Wanderweg flankierten Reste führen an Kall vorbei. Das ehemalige Salvatorianerkloster Steinfeld auf den Höhen südlich der Stadt erfüllt dann doch alle Erwartungen an Eifelromantik, lukullische Genüsse und malerische Architektur. Es liegt am Eifelsteig, von hier aus kann man zur Ahrquelle in Blankenheim wandern. Das ist allerdings mehr als ein Spaziergang: dreiundzwanzig Kilometer ständiges Auf und Ab.

AUF DER SPUR DES VERLORENEN DORFES

Nicht nur Kall gebiert bei aller Einbettung in eine Natur, die noch intakt ist oder wieder ihren Raum erobert, eine eigenartige Mischung aus wohligen und unheimlichen Emotionen, die so gar nichts zu tun haben mit Schmunzelkrimis à la »Mord mit Aussicht«. Noch intensiver ist das Gefühl auf der Dreiborner Höhe hoch über dem aufgestauten Urftsee. Die Nazis klotzten die »Ordensburg « Vogelsang in Wald und Felsen, Tausende künftige Kader sollten hier geschmiedet werden. Das zweifelhafte Treiben dauerte von 1936 bis 1939, doch das martialische Gemäuer thront noch immer über dem Abgrund. Es wurde umfunktioniert und heißt heute Vogelsang IP. IP steht für Internationaler Platz, für Umweltbildung, für Ausstellungen zur Geschichte, für Kulturveranstaltungen und vieles mehr. Aus der Nazihochburg, die den katholischen Eifeler Bauern vor die Nase gesetzt worden war, ist ein Publikumsmagnet für friedliebende Naturfans und eine der Hauptanlaufstellen des Nationalparks Eifel geworden.

Festung Vogelsang © AdobeStock

In Sichtweite, theoretisch erreichbar über eine panzerfeste Betonplattenpiste, liegt einer der berühmtesten Lost Places Westeuropas, das ehemalige Dorf Wollseifen. Ehemalig, weil die Bewohner 1946 auf Geheiß der britischen Militärverwaltung zwangsweise evakuiert wurden und nie zurückkommen durften. Das erstmals im 12. Jahrhundert urkundlich erwähnte, in den Jahren 1944/45 bereits schwer beschädigte Dorf wurde zum Trainingsgelände für den Häuserkampf umgewidmet und militärisches Sperrgebiet. Dabei hatten sich die Wollseifener mit ihren kargen, windgepeitschten Feldern so viel versprochen vom vermeintlichen Aufschwung, den der Bau der Ordensburg brachte. History is a bitch.

Anna-Maria Caspari hat die Geschichte des Dorfes und seiner Menschen in ihrem Roman »Ginsterhöhe« erzählt. Gänsehautgefühl und goldgelbe Ginsterblüte gehen hier nahtlos ineinander über. Die Dreiborner Höhe ist zweifellos faszinierend. Man kann hier Stunden verbringen und ist nie wirklich sicher … ist es die Faszination des menschlichen Schreckens oder die Faszination der rauen Natur?

DIE RETTUNG DER BERGE

Nicht nur Dörfer können in der Eifel verloren gehen. Es verschwinden auch ganze Berge. Der Name des 390-Seelen-Ortes Ormont bedeutet Goldberg, und tatsächlich gibt es in der Nähe einen Vulkan, dessen Biotitvorkommen – auch Katzengold genannt – verheißungsvoll glitzern. Oder nein, es muss heißen »gab« und »glitzerten«, denn der Vulkan ist fast restlos der menschlichen Gier nach Rohstoffen zum Opfer gefallen. So wie dem Goldberg ging und geht es vielen Eifelvulkanen, bis heute. Aus den menschlichen Nadelstichen der Antike bis ins 19. Jahrhundert wurde ein industrieller Kriegszug mit schwerem Gerät und Sprengstoff. Doch genug ist genug, heißt es in der Vulkaneifel, sowohl in der Realität wie in Ute Bales‘ Roman »Vom letzten Tag ein Stück«. Bertram, ein junger Mann, fängt an, sich gegen den Ausverkauf der Natur für den schnellen Konzern-Euro zu wehren. Wie massiv der industrielle Abbau die Lava frisst, kann man bei einem Spaziergang zwischen den Dörfern Steinborn und Kirchweiler nahe der Kreisstadt Daun sehen.

Lavakeller in Mendig © Eifel Tourismus GmbH, D. Ketz

Eigentlich ist die berühmt für drei Maare, die als kreisrunde Vulkanseen dicht nebeneinander liegen und von Eifelschriftstellerin Clara Viebig (1860–1952) treffend als »Augen der Eifel« tituliert wurden. Die Augen der Eifel sind strahlend schön und spiegeln den Himmel. Den beklemmenden Kontrast dazu bietet nordwestlich von Daun ein gigantisches Loch in der Flanke des eigentlich streng geschützten Naturdenkmals Scharteberg. In ihm scharren Bagger und rattern Förderbänder, wenige Meter vom dichten Laubwald entfernt.

Pulvermaar © AdobeStock
Arnulphusberg: Vulkankrater in Ahrensberg © AdobeStock

Die Grubenbetreiber sagen, Basalt und Lava seien nachwachsende Rohstoffe. Das ist nicht ganz falsch, denn der Eifelvulkanismus ist nicht erloschen, er »schläft« nur. Die Exkursionen, die vom UNESCO Natur- und Geopark Vulkaneifel angeboten werden, machen das erlebbar. Irgendwann heilt die Natur die tiefen Wunden. Der Arnulphusberg – auch Arensberg genannt – bei Zilsdorf verlor seine Millionen Jahre alte, einst birnenförmige Vulkankuppe durch Menschenhand. Menschen trieben einen schmalen Stollengang durch den Kraterrand, mitten hinein in die einstige Eruptionssäule. Der Vulkan ist jetzt ein ausgehöhlter Zahn. Wer sich in den Schlot hinein traut, traut seinen Augen nicht: So schön ist das bizarr reliefierte Farbenspiel aus dunklen, gelblichen, rötlichen und grauweißen Tönen. Asche, Kalk, Eisen, Schwefel, Schiefer … die Ausbrüche malten damit abstrakte Bilder in die von Grubenarbeitern freigelegten Schichten.

Ganz still ist es hier, umgeben vom Berg, und man fühlt sich geborgen wie in Abrahams Schoß. Nicht weit entfernt, im Vulkangipfel oberhalb des Doppeldorfes Hohenfels- Essingen, ist aus einstigen Mühlsteingruben ein Labyrinth aus kleinen Höhlen geworden, die mit Taschenlampe und ganz viel Vorsicht erkundet werden können. In die schwarze Lava des buchenbestandenen Steilhangs hinein wurde im 19. Jahrhundert eine Art Mini-Lourdes geschlagen: eine Nische mit strahlend weißer Marienfigur und ein Andachtsplatz davor. Diese Mariengrotte ist vielleicht der passende Ort, um bei Mutter Natur Abbitte zu leisten für alles, was Menschen so anstellen. Oder einfach, um zur Ruhe zu kommen und ein gutes Buch zu lesen.

Unsere Autorin

Angelika Koch kam vor mehr als dreißig Jahren aus Ostwestfalen zufällig in die Eifel, war schockverliebt in die Landschaft und blieb. Sie arbeitet als Tageszeitungsjournalistin, Autorin von Reiseführern und im Regionalmarketing.