Literaturhaus Villa Clementine in Wiesbaden

„Es wird immer wichtiger, sich mit anderen Literaturschaffenden und Kultureinrichtungen zu vernetzen.“

Das Literaturhaus Villa Clementine in Wiesbaden Wir sprachen mit der Leiterin Susanne Lewalter.

Könnten Sie uns einen kurzen Überblick über die Geschichte und die Aufgabe des Literaturhauses Villa Clementine geben?

Das Wiesbadener Literaturhaus wurde im Jahr 2002 gegründet und ist als eines der wenigen Literaturhäuser in Deutschland eine kommunale Einrichtung der Stadt Wiesbaden, die meisten anderen Literaturhäuser sind von einem Verein getragen. Das Literaturhaus versteht sich als ein Ort der Debatte für die Stadt, aber auch als ein Ort, an dem sich Literaturschaffende austauschen und vernetzen können. Zu den Aufgaben zählen die Förderung von Autorinnen, Autoren und Literatur, die Leseförderung im Sinne von kultureller Bildung und auch die Vermittlung von Literatur an ein möglichst breites Publikum.

Was für Angebote macht das Literaturhaus?

Die Pisa-Studien oder auch diverse Studien zu Integration von Menschen mit Migrationshintergrund machen deutlich, wie wichtig Sprach- und Lesekompetenz für eine funktionierende Demokratie und Gesellschaft sind. Um möglichst ein breites Publikum alle Altersgruppen zu erreichen, ist die Palette an Angeboten recht groß: Sie reicht von der Kinder- oder Schullesung über eine Lesebühne für Nachwuchsautorinnen und -autoren bis zu Veranstaltungen mit Jugendzentren. Die inhaltliche Bandbreite umfasst preiswürdige Belletristik, den gesellschaftspolitischen Kriminalroman oder auch Lyrik-Performances. Außerdem gibt es Literaturstipendien (und eine Stipendiatenwohnung im Literaturhaus) und wir vergeben Literaturpreise: den Orphilpreis für Lyrik mit einem Haupt- und einem Förderpreis, den Literaturpreis der Landeshauptstadt Wiesbaden für intermediale Literatur sowie den George-Konell-Förderpreis für Schülerinnen und Schüler.

Das Literaturhaus Villa Clementine ist außerdem Mitglied im Netzwerk der Literaturhäuser und arbeitet in Kooperation an größeren Literaturprojekten mit. Dazu gehört eine Kulturpartnerschaft mit ARTE oder zum Beispiel auch die Vergabe von Literaturpreisen.

Welche Arten von Veranstaltungen bietet das Literaturhaus an?

Neben der Vorstellung interessanter Neuerscheinungen haben wir thematische Reihen im Programm, die eine tiefere Auseinandersetzung mit existentiellen und gesellschaftlichen Fragen ermöglichen, wie zum Beispiel „Der weibliche Blick“ oder „Freundschaften“. Über klassische Autorenlesungen mit moderierten Gesprächen hinaus bieten wir auch Workshops oder spartenübergreifende Formate an, welche die Literatur ästhetisch mit anderen Künsten verbinden. Graphic Novel-Lesungen, bei denen die Illustratoren über ihre Zeichnungen zu den erzählten Geschichten sprechen, gehören ebenso dazu, wie musikalische Lesungen, Live-Hörspiele, Gespräche über Literaturverfilmungen oder Veranstaltungen in Museen, Galerien oder an besonderen Orten. Wir möchten Literatur mit allen Sinnen erfahrbar machen. Außerdem veranstalten wir regelmäßig Festivals, wie das hr2-Hörfest, den Wiesbadener KrimiMärz oder die Wiesbadener Literaturtage. Bei den Literaturtagen kuratiert jeweils eine Autorin oder ein Autor das Programm und lädt auch Gäste aus Musik, Film, bildender Kunst, Theater oder Tanz ein.

Können Sie uns einige Highlights aus Ihrem aktuellen Veranstaltungsprogramm nennen?

Im November wird der Literaturpreis der Landeshauptstadt Wiesbaden verliehen. Der Preis ist mit 10.000 Euro dotiert und zeichnet seit 2020 biennal Autorinnen und Autoren aus, die in ihren Werken intermedial arbeiten und Bezüge zu anderen Künsten, Medien oder Diskursen herstellen. Zu den Preisträgern gehörten in der Vergangenheit der Sänger der Band Tocotronic, Dirk von Lowtzow, oder die Textperformerin Maren Kames. Vom 5. bis 9. Februar veranstalten wir in Kooperation mit dem Hessischen Rundfunk das hr2-Hörfest. Zu den Highlights des Hörfestes gehört das „Labyrinth des Hörens“, bei dem Experten zum Thema Hören kurzweilige und teilweise interaktive Vorträge halten. Das reicht vom Sounddesigner aus der Automobilindustrie über den Filmkomponisten bis zum Obertonsänger oder Vogelstimmen-Experten. Ein Publikumsmagnet ist dabei auch die hr2-Hörgala mit Höhepunkten der Kleinkunstszene sowie die Verleihung des KIWI, des Kinder- und Jugendhörbuchpreises der Landeshauptstadt Wiesbaden, für das beste Kinderhörbuch des Jahres.

Gibt es bestimmte Themen oder Schwerpunkte, auf die sich das Literaturhaus in seinen Veranstaltungen konzentriert?

Wie bereits erläutert, wechseln die Themen, weil sich auch die gesellschaftlichen Umstände ändern. Während der Corona-Pandemie waren unerwartet Themen, wie Einsamkeit oder Familie, für viele Menschen wichtig, im Moment sind es mehr politische Themen angesichts der weltpolitischen Lage. Daher bieten wir zur Zeit vor allem Schwerpunkte an, die sich mit Fragen beschäftigen, die unsere Gesellschaft zu spalten drohen. Da wir uns jedoch nur in einem begrenzten Maße ständig mit Konflikten auseinandersetzen können, finde ich auch Angebote wichtig, die einen Gegenpol bilden. Bücher, die zum Lachen anregen oder auch zur Entspannung. Die Programmarbeit ist ein ständiges Austarieren von aktuellen Themen und Bedürfnissen der Menschen. Dazu gehört, dass wir ebenso berühmte, renommierte Autorinnen und Autoren oder Künstler einladen wie auch interessante Nachwuchstalente, die noch nicht so bekannt sind. Das Programm des Literaturhauses soll vielfältig sein, so mein Ziel.

Wie fördert das Literaturhaus Villa Clementine lokale Autoren und Autorinnen sowie junge literarische Talente?

In unserem „Anderen Salon“, in dem wir neue, interaktive Formate ausprobieren und vor allem ein jüngeres Publikum ansprechen wollen, bieten wir viermal im Jahr eine kuratierte Lesebühne für literarische Nachwuchstalente an. Das „Textkontor“ stellt in Kneipenatmosphäre neue, junge Literatur in Verbindung mit Musik vor. Außerdem wird alle zwei Jahre ein Förderpreis für Schülerinnen und Schüler vergeben und wir bieten die Schreibwerkstatt „Die Schreibwütigen“ regelmäßig an, die sich an junge Menschen wendet. Zu unserem Programm gehört außerdem, dass wir regelmäßig herausragende Debüts vorstellen. Bieten Sie auch Programme für Kinder und Jugendliche an? Innerhalb unseres Programms gibt es das so genannte „Junge Literaturhaus“, das von meiner Kollegin Katharina Dietl betreut wird. Dazu gehören Lesungen für Schulklassen, Familien, Ferien-Aktionen in Zusammenarbeit mit Jugendzentren oder anderen Einrichtungen oder auch Workshops.

Gibt es besondere Pläne oder Projekte für die Zukunft, die Sie gerne mit unseren Leserinnen und Lesern teilen möchten?

Da ist noch nichts spruchreif, was ich verraten könnte, weil die Finanzierungen größerer Projekte oft einen langen Vorlauf haben. Aber ich denke, es wird immer wichtiger, sich mit anderen Literaturschaffenden und Kultureinrichtungen zu vernetzen, um die Vermittlung von Büchern und eine Kultur der Auseinandersetzung und Debatte zu stärken und möglichst tief in unsere Gesellschaft hinein wirken zu können. Unsere Gesellschaft verändert sich und wird immer älter und heterogener, was Sprache und Herkunft angeht. Dazu kommt die Digitalisierung des Buchmarktes, die bewirkt, dass wir manche Gruppen nur noch über Social Media erreichen können. Da kommen große Herausforderungen auf die Literaturbranche zu.

Zur Webseite des Literaturhauses Villa Clementine geht es HIER